Es ist absolut enttäuschend, dass Urbachs Bürgermeisterin und die Mitglieder des Gemeinderats es nicht für nötig halten, in irgendeiner Weise auf den Frust und die Enttäuschung so vieler Urbacher Bürgerinnen und Bürger im Nachgang des Bürgerentscheids einzugehen. Auf den offenen Brief der Bürgerinitiative gab es bisher außer einer knappen Antwort der Freien Wähler weder in der Öffentlichkeit noch uns gegenüber Reaktionen.

Stattdessen geht man mehrheitlich zur Tagesordnung über und steigt mit enormer Energie in die weiteren Planungen für das Gewerbegebiet ein, nach dem Motto: „Der Zug fährt in eine Richtung und wird nicht gestoppt!“. Aktuell geht es konkret um Grundstücksaufkäufe und die Suche nach Ausgleichsflächen.

Die Entscheider wissen, dass der Bürgerentscheid rechtlich nicht angreifbar ist, egal, wie fragwürdig die Informationspolitik im Vorfeld war. Jetzt sollen möglichst schnell Tatsachen geschaffen werden, damit in drei Jahren, wenn theoretisch ein erneutes Bürgerbegehren gestartet werden könnte, die Planungen und der finanzielle Aufwand so weit fortgeschritten sind, dass es nur noch ein Vorwärts gibt.

Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass sich die grundlegenden Fakten für das Gewerbegebiet Schraienwiesen durch den Wegfall der Firma Dungs als den zentralen Ankerpunkt des Projekts komplett geändert haben. Ein „klimaneutrales Leuchtturmprojekt“, wie vor dem Bürgerentscheid angekündigt, wird ohne einen großen Player wie Dungs schwer realisierbar sein. Oder passt man dann die Kriterienn so weit an, dass es eben wieder passt? Klimaneutralitätsversprechen und Bürgerdialog hin oder her …

Unsere Bürgermeisterin argumentiert damit, dass es in der Region Stuttgart genügend Nachfrage nach Gewerbeflächen gibt. Aber genau darüber haben die Urbacher nicht abgestimmt. Es ging vorrangig darum, dass Urbacher Betriebe erweitern können und nicht abwandern, und nicht, dass auswärtige Betriebe angesiedelt werden.

Der Bürgerentscheid ging mit knapp 20 % Vorsprung für die Befürworter aus. Es liegt klar auf der Hand, dass das große Engagement von Herrn Dungs und seine Argumentation, dass die Entwicklung der Schraienwiesen für die Zukunft seines Betriebes alternativlos ist, einen großen Teil der Wählerinnen und Wähler überzeugt bzw. zum Teil regelrecht genötigt hat, ihr Kreuz bei JA zu setzen. Bedenke: Hätte nur jeder 10. Wähler anders abgestimmt, hätten wir ein anderes Ergebnis bekommen. Bei uns melden sich viele Wählerinnen und Wähler, die genau dies bestätigen: „Wenn ich das alles vorher gewusst hätte, hätte ich anders abgestimmt!“

Wir betonen: Als Bürgerinitiative hätten wir das Ergebnis des Bürgerentscheids auf jeden Fall akzeptiert und mitgetragen. Am Wahlabend und in den Tagen danach fiel auch von uns eine große Last ab, weil wir das Gefühl hatten, trotz der Trauer um das zahlenmäßig verlorene Ergebnis ist doch alles relativ fair und demokratisch gelaufen und wir haben viel erreicht in unserem Ort. Sogar von der Gegenseite wurde betont, dass man die 40 % der Menschen, die mit Nein gestimmt haben, nicht außer Acht lassen dürfe.

Was wir nun in unserem Ort erleben, erschüttert zutiefst unser Verständnis von einer Demokratie, die mit den Bürgern ehrlich und auf Augenhöhe umgeht.

Im Nachhinein wird immer mehr klar, dass der Bürgerentscheid dem Drehbuch der Wirtschaftsförderung des Verbands Region Stuttgart gefolgt ist. Dieses Gremium war im Vorfeld aktiv eingebunden in den Prozess in Urbach und hat für die Kommunalpolitiker der Region ein solches „Drehbuch für Bürgerentscheide“ entwickelt. Denn Bürgerentscheide werden als „Planungshindernisse“ für die Wirtschaftsentwicklung gesehen. Mehrere Dinge werden empfohlen, die in Urbach genau so umgesetzt wurden: Ein Bürgerentscheid soll möglichst von der Kommune bzw. den Befürwortern angeregt werden, dann bestimmt man die Fragestellung und kann sie wohlklingend formulieren. Die Wahl soll möglichst rasch durchgeführt werden, mit wenig Zeit für die Auseinandersetzung im Vorfeld bzw. die Formierung der Gegenseite. Außerdem braucht man möglichst einen oder mehrere große örtliche Gewerbetreibende, die das Ganze unterstützen, ein Eigeninteresse bekunden und so den Ortsbezug herstellen.

Die Aussage von Bürgermeisterin und Gemeinderäten, man hätte nicht um das Potenzial des Hornschuch- Geländes gewusst, ist einfach unglaubwürdig. Auch, dass die Verwaltungsspitze zum Zeitpunkt des Bürgerentscheids noch nichts von den konkreten Verkaufsplänen und der Möglichkeit für die Firma Dungs gewusst hat, wird vielfach angezweifelt. Beweisen wird man es nicht können, aber vertrauen kann man noch viel weniger.

Es ist für uns völlig unverständlich, wie Gemeinderäte, die von sich sagen, sie hätten ihr Ohr nah am Bürger, den Frust unter den Bürgern so ignorieren können. Ebenso, dass Fraktionen, die bei jeder Gelegenheit die Wichtigkeit der Bürgerbeteiligung betonen, hier stumm zusehen und die Dinge geschehen lassen.

Eines steht für uns außer Frage: Wenn man in unserem Ort eine Demokratie ernst nimmt, die dem Bürger ehrlich und auf Augenhöhe begegnet, dann kann dieser Bürgerentscheid niemals als Grundlage für die Realisierung des Gewerbegebiets Schraienwiesen dienen.
Es geht gar nicht, so zu tun, als wäre nichts gewesen.

Wir sind ganz einfach fassungslos!

14.11.2023 Bürgerinitiative Schraienwiese
Bärbel Baumgärtner, Rudolf Wrobel, Manfred Wrobel- Adelhelm, Matthias Görtler, Cornelia Weidler